Seit vielen Wochen steht die Welt wie gebannt unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Die Auswirkungen sind epochal. Bisher wichtige Themen werden zur Nebensache. Alltägliche Routinen und Traditionen werden durch Neues ersetzt. Die Welt ändert sich im großen Stil. Diese Situation birgt Chancen und Gefahren zugleich.
Als Christliche Beratung Kiel sind wir für Menschen da, die sich mit persönlichen Lebensfragen beschäftigen oder sich in Lebenskrisen befinden. So auch in der aktuellen Situation. Die Krise ist zwar global, aber die Betroffenheit jedes Einzelnen ist individuell.
In den Beratungen sprechen wir derzeit viel über die Veränderungen, die sich im Leben der Ratsuchenden ergeben. Stellvertretend für all diese Gespräche folgt hier ein Gespräch, das ich mit Ruth Müller (1. Vorsitzende der Christlichen Beratung Kiel) geführt habe.
„Ruth, was hat sich für Dich persönlich in den letzten Wochen geändert? Was tut Dir daran gut und was nicht?“
„Die größte Veränderung ist: ich bin nicht mehr vom Terminkalender bestimmt. Ich habe zeitliche Freiräume gewonnen, die ich so gestalten kann, wie ich es als gut empfinde. U.a. gehe ich wieder regelmäßig walken.
So gut ich diese Freiräume empfinde, gibt es eben auch die andere, ungute Seite: Treffen in einer Gruppe, notwendige Besprechungen und Aktivitäten mit anderen finden nicht statt. Ich vermisse die Begegnung mit Menschen vor Ort. Die virtuellen Begegnungen über Internetverbindungen sind für mich keine echten Begegnungen. Je länger je mehr, wird es anstrengend, ohne sich zu treffen, die Beziehungen ‚lebendig‘ zu halten.“
„Worauf blickst Du in Deiner Umgebung mit Freude und worauf mit Sorge?“
„Ich sehe viele Menschen, die sich innerhalb der möglichen Maßnahmen neue kreative Wege erschließen: So haben sich z.B. in meinem Wohnviertel Musiker gefunden, die jeden Mittwoch auf einer Wiese gemeinsam musizieren und drum-herum die Leute mit Abstand mitsummen, mitsingen oder sich einfach freuen. Generell habe ich eine Freundlichkeit und Menschlichkeit auf der Straße oder beim Einkaufen erlebt, über die ich mich freue.
Mit Sorge nehme ich mehr und mehr die Nebenwirkungen der anhaltenden Maßnahmen wahr. Ich finde es schwierig, dass z. B. die Kirche ihre Kirchen und kirchlichen Räume – bis auf eingeschränkte Gottesdienste – immer noch geschlossen hat und alle persönlichen Begegnungen beschränkt und hauptsächlich auf digital setzt. Ich frage mich immer mal wieder, wo hört eigentlich Eigenverantwortung auf und wo fängt Bevormundung an?“
„Was sind Deine aktuellen Wünsche und Hoffnungen für Dich persönlich und für unsere Gesellschaft?“
„Es wäre ein kleiner persönlicher Sieg, wenn ich mir ein Stück der Freiheit vom Termindruck behalten könnte und meine Zeit wieder mehr unter der Frage ‚was ist jetzt wirklich wichtig?‘ gestalten würde.
Für uns als Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir uns die Rücksichtnahme auf andere erhalten und im Alltag weiterhin auf ein gesundes Miteinander achten. Wir würden davon profitieren, wenn es in Zukunft nicht nur um Verordnungen und Maßnahmen geht, sondern auch darum, was für den Menschen, die Umwelt, die Wirtschaft nützlich ist. Mein Wunsch ist, dass wir uns wieder auf Werte einigen und einlassen, die ein Miteinander in Freiheit und gegenseitiger Verantwortung fördern und stärken.
Als Christin und Teil der ‚Gemeinschaft der Gläubigen‘ wünsche ich mir, dass wir den Platz in der Gesellschaft einnehmen, der uns von Gott zugewiesen ist. Wir kennen den, der gesagt hat: „In der Welt habt ihr Angst, aber findet Trost darin, dass ich die Welt überwunden habe.“ Einen Ort für Menschen mit ihren Fragen oder Sorgen zu bieten, wo sie entdecken können, wie sie in ihrer Situation handlungs-fähig sein können, ist auch in Zukunft notwendig.
Ich bin sehr dankbar, dass wir als Christliche Beratung in den vergangenen Wochen einen Weg gefunden haben, um Menschen zu begleiten. Ein dickes DANKE an Dich und Kirsten Leidecker. Zusammen mit dem Team der BeraterInnen habt ihr die Beratungsstelle auch unter Einhaltung der Vorgaben offen gehalten. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Darüber freue ich mich!“
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