„Mein Seelsorger hat gesagt, ich brauche wohl eine Therapie. Aber vielleicht reicht ja auch erstmal eine Beratung?“ – solche Sätze sind nicht ungewöhnlich bei der Anmeldung in unserer Beratungsstelle und sie zeigen zweierlei:
- Dass die Begriffe keine besonders hohe Trennschärfe haben. Es ist nicht einfach zu definieren, wo Beratung aufhört und Therapie anfängt und was Seelsorge eigentlich (nicht) ist.
- Dass das den meisten Leuten überhaupt nichts ausmacht. Sie benutzen die Worte fröhlich durcheinander. Das ist auch völlig in Ordnung, solange sie die Hilfe bekommen, die sie brauchen.
Trotzdem lohnt es sich, die Grenzen und Übergänge einmal zu beschreiben. Das erleichtert die Orientierung.
Je schlimmer, desto Therapie?
In unserem Beispielsatz wird eine gängige Unterscheidung benutzt, die aber fachlich ziemlich falsch ist: „Je schlimmer, desto Therapie.“ Oder genauer: Bei alltäglichen Sorgen kann ein Seelsorger helfen, wenn es ernster wird, ist psychologische Beratung nötig, und Therapie kommt zum Zuge, wenn das Problem in Richtung „Krankheit“ geht. Andererseits: Wenn etwa ein Mann, der einen schweren Verkehrsunfall ausgelöst hat, in der Seelsorge um Schuld und Vergebung ringt, ist das dann weniger schwerwiegend als das Beratungsgespräch mit einem Hochkonfliktpaar in einer Trennungsberatung oder die therapeutische Behandlung eines Jugendlichen mit Essstörungen? Nein. Alle Nöte haben ihr eigenes Gewicht.
Je Therapie, desto besser?
Die Ausbildung derjenigen, die die Hilfe anbieten, könnte da schon aussagekräftiger sein. Pastor*innen, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in der Kirche mit unterschiedlichen seelsorgerlichen Aus- und Weiterbildungen, Psycholog*innen oder Ärzt*innen mit standardisierter therapeutischer Ausbildung (meist Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologie) auf der Seite der Therapie. In der Beratung, dazwischen, eine bunte Mischung von Menschen aus verschiedensten Berufsgruppen, die eine meist dreijährige Weiterbildung in psychologischer Gesprächsführung und andere Weiterbildungen in einem breiten Feld wichtiger Themen absolviert haben.
Allerdings gibt es so viele therapeutisch erfahrene Berater*innen, so viele gut ausgebildete Seelsorgende, dass man kaum pauschal von einem Qualitätsgefälle sprechen kann. Und es gibt durchaus auch spirituell sensible Therapeut*innen.
Interessanterweise hat die Therapieforschung belegt, dass der größte Erfolgsfaktor in der psychologischen Behandlung die Beziehung zwischen Helfenden und Hilfesuchenden ist. Und die findet sich in allen drei Bereichen. Natürlich ist es wichtig, dass die Ausbildung dessen, der helfen soll, zur Art des Problems passt. Aber das empathische, zugewandte Gespräch ist allen Bereichen die Grundlage für das helfende Gespräch.
Hier ist unter anderem wichtig, wie bewusst sich die Helfenden ihrer eigenen Rolle und Person sind, ob sie sich in der Ausbildung auch mit den eigenen Grenzen, Prägungen und Motiven auseinandergesetzt haben.
Drei Disziplinen – drei unterschiedliche Stärken
Ein paar entscheidende Unterschiede gibt es aber doch: Therapie kann (und muss) mit Diagnosen arbeiten, also mit festen Erklärungsmustern für psychisches Leiden. Das hat den Vorteil, dass es Zugang zu erprobten und öffentlich finanzierten Behandlungsmöglichkeiten eröffnet, in der ambulanten Therapie, in Kliniken, mit oder ohne medikamentöse Unterstützung. Unser Gesundheitssystem ist ein mächtiger Partner auf dem Weg der Heilung. Aber es spricht eben die Sprache der Diagnosen.
Beratung kann oft nicht so engmaschig betreuen, bietet keine ärztliche Perspektive. Ihre große Stärke ist die Beweglichkeit. Klient*innen können die Erklärungen und Lösungen finden, die am besten zu ihnen passen. Wer wann mit wem am besten in die Beratung geht und worüber gesprochen wird, das können Berater*in und Klient*in gemeinsam herausfinden und so sehr individuell reagieren. Auch die Wartezeiten sind viel kürzer als im öffentlichen Gesundheitswesen.
Manche (z.T. sehr ernsten) seelischen Nöte finden die klarsten Antworten im Glauben. Gebet, Segen, Rituale oder die Deutung biblischer Geschichten und eine Botschaft von Liebe, Gnade und Vergebung finden sich nicht ohne weiteres in Beratung oder Therapie. Seelsorgende haben den großen Vorteil, dass sie gerade nicht weltanschaulich neutral sind und deshalb sehr gezielt fragen können. Sie können sich selbst als Mitmenschen mit Werten, Gedanken und Erfahrungen zur Verfügung stellen. Seelsorgende führen „existentielle Gespräche im Deutehorizont des christlichen Glaubens“[1].
Neuere Forschung zu Spiritualität und psychischer Gesundheit zeigt: Heilung und Veränderung gelingen dort am besten, wo integrierend gearbeitet wird. Das heißt: wo die Helfenden aus verschiedenen Bereichen sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sind, einander kennen, und zusammen arbeiten, bzw. wo es einzelnen gelingt, auch Aspekte aus den anderen Bereichen anzusprechen. Die Ärztin etwa, die sich Zeit nimmt, nach der Bedeutung des Glaubens im Krankheitsverlauf zu fragen oder der Seelsorger, dem klar ist, dass sich ein Glauben verändert, wenn die Neurotransmitter im Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten sind.
Wichtig ist also bei der Auswahl des Beratungsangebots dreierlei:
- Das Kernanliegen herausfinden
Versuchen Sie zu erkennen, wo der Kern der Sache liegt und beginnen Sie dort. Sind es existenzielle Fragen wie Schuld, Sinn oder Einsamkeit, die Ihnen (ggf. auch körperliche) Schmerzen bereiten? Sprechen Sie mit einer Seelsorgerin. Haben Sie das Gefühl, dass sie Ihre Möglichkeiten zur Veränderung noch nicht optimal nutzen? Auf zur Beratungsstelle! Suchen Sie eine fachliche Erklärung für Ihre Not und brauchen ggf. lange, engmaschige und/oder medikamentöse Behandlung? Dann ist eine therapeutische Praxis oder eine Ambulanz der beste Ort zu beginnen. - Das Anliegen ganzheitlich betrachten
Lassen Sie sich nicht auf ein Entweder-Oder-Denken ein. Körper, Seele und Geist – Hormone, Lebenskern und Gedankenwelt – hängen zusammen und wirken miteinander. Im besten Fall tun das auch Seelsorge, Beratung und Therapie. Werden Sie misstrauisch, wenn Fachleute so tun, als wäre allein ihr Bereich die Lösung. Seelsorger, die eine dissoziative Störung „wegbeten“ wollen sind ebenso bedenklich wie Ärztinnen, die bei Trauer Antidepressiva verschreiben statt zu reden. - Fachleute helfen bei der richtigen Wahl
Fragen Sie Fachleute, wenn Sie sich unsicher sind, welche Art von Hilfe am besten für Sie passt. In der Christlichen Beratung Kiel führen wir regelmäßig Gespräche mit Leuten, die Orientierung im Dschungel der Hilfsangebote suchen. Dabei kommt es immer wieder vor, dass wir Menschen an andere Hilfsangebote weitervermitteln, die besser zu ihnen passen. Wie schön, dass es eher zu viele als zu wenige Möglichkeiten gibt. Meist ist es besser, irgendwo zu beginnen als nirgends.
Forschung und Weiterbildung zu diesem Thema findet sich zum Beispiel hier:
https://www.youtube.com/user/rppinstitut
[1] Nicol, Martin. Gespräch als Seelsorge: theologische Fragmente zu einer Kultur des Gesprächs. Vandenhoeck & [u.] Ruprecht, 1990.
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